No Pain, No Gain?

Hattest Du schon einmal Schmerzen beim Trainieren? Wahrscheinlich hast Du mit dem Training aufgehört und abgewartet. Nach ein paar Wochen bist Du wieder zum Training und hast es noch einmal versucht. Die Schmerzen waren immer noch da und so bist Du zum Arzt gegangen. Der Doktor hat Dir Physiotherapie mit Training verschrieben. Auch Dein Therapeut sagt Dir in der ersten Sitzung, dass wir Deine Beschwerden nur mit richtigem und schmerzfreiem Training wieder in den Griff bekommen. Nun fragst Du dich aber, ob denn keiner Dich versteht. Schließlich hast Du beim Training Schmerzen und jeder sagt Dir Du sollst trainieren, damit Deine Beschwerden besser werden? Das macht doch alles keinen Sinn!

Wo liegt nun die Antwort? Sollte Physiotherapie nicht schmerzfrei sein? Oder solltest Du deinen Schmerz ignorieren und weiter trainieren?

Dieser Artikel soll Dir helfen, Antworten auf Deine Fragen zu finden.

Sollte Physiotherapie schmerzfrei sein? Was ist mit dem Satz: No pain, No gain?

Der Satz „No pain, No gain“ wird häufig von Profisportlern und Bodybuildern verwendet, denen Du jedoch wenig Beachtung bezüglich deiner Gesundheit schenken solltest. Hingegen sagen Ärzte und Physiotherapeuten, dass Du beim Training keinerlei Schmerzen haben oder Schmerzmittel nehmen solltest, da der Schmerz der Rauchmelder deines Körpers ist. Und wenn der pfeift, nimmst Du schließlich auch nicht die Batterien raus.

In den letzten Jahrzehnten wurde dieses Thema sehr häufig untersucht und keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Was jedoch feststeht ist, dass Physiotherapie oder Rehabilitation nicht unbedingt schmerzfrei sein muss! Dies wurde durch eine Meta-Analyse (Smith et al 2017), welche die höchste wissenschaftliche Arbeit darstellt, bestätigt. Eine Meta-Analyse verbindet mehrere wissenschaftliche Arbeiten desselben Themas und bestätigt deren Erkenntnis.

Diese Arbeit untersuchte die Verbindung von chronischen Muskelschmerzen beim Training ohne Schmerzen und mit leichten Schmerzen. Dabei nahm sie 9 unterschiedliche Studien zu demselben Thema als Grundlage. Das Ergebnis war, dass die Gruppe mit leichten Schmerzen während des Trainings 3 Monate nach der Verletzung bessere Ergebnisse erzielte als die Gruppe ohne Schmerzen. Ebenso fanden sie heraus, dass es für die Monate 3-12 und nach 12 Monaten keinen großen Unterschied bei beiden Gruppen gab. Auf Grundlage dieser Informationen nahmen die Autoren an, dass leichte Schmerzen während des Reha-Trainings zu schnelleren Erfolgen führen können und kurzfristig Vorteile gegenüber schmerzfreiem Training bieten.

Dies ist eine große Erkenntnis für uns Therapeuten und unsere Patienten. Um nach einer Verletzung wieder Kraft und Funktion aufzubauen, dürfen während des Trainings leichte Schmerzen auftreten. Damit können Beschwerden schneller beseitigt werden, um langfristig wieder schmerzfrei trainieren zu können.

Wie verhält es sich aber bei Verletzungen des Muskelgewebes?

Nachdem wir festgestellt haben, dass leichte Schmerzen während des Reha-Trainings sinnvoll sind und zu schnelleren Erfolgen führen, betrachten wir nun die häufigsten und langwierigsten Sportverletzungen – Muskelfaserrisse. Diese Verletzungen bringen einen oft sehr langen Leidensweg des Patienten mit sich und die Zeit, bis der Sportler wieder wettkampffähig ist, kann von ein paar Wochen bis hin zu Monaten variieren.

In einer Studie (Hickey et al. 2019) wurde dieses Thema untersucht. Dabei wurden die Ergebnisse von Oberschenkelverletzungen bei Männern verglichen. Die erste Gruppe trainierte schmerzfrei, wohingegen bei der Kontrollgruppe Schmerzen von 4/10 erlaubt waren. Dies hatte zur Folge, dass in beiden Gruppen keine negativen Auswirkungen auf die Heilung festgestellt werden konnten. Was allerdings herauskam war, dass die Gruppe mit leichten Schmerzen (4/10) nach Beendigung der Rehaphase 15% mehr Kraft im verletzten Oberschenkel hatte als die schmerzfrei trainierende. Dies hielt auch 2 Monate nach dem Training noch an. Somit kann festgehalten werden, dass durch leichte Schmerzen während des Reha-Trainings Vorteile in Form von Kraft und damit einem verringerten Verletzungsrisiko entstehen.

Dürfen Sehnenentzündungen ebenfalls schmerzen?

2007 untersuchten Silbernagel et al. die Verbindung von schmerzfreiem und Training mit leichten Schmerzen (5/10) bei Achillessehnen- und Patellarsehnenreizungen. Das Ergebnis könnt Ihr euch wahrscheinlich denken.

Die Gruppe mit leichten Schmerzen (5/10) konnte signifikant bessere Ergebnisse erzielen als die schmerzfrei trainierende Gruppe. Wichtig ist, dass die Schmerzen die Grenze während dem Training und innerhalb von 24h nach dem Training nicht überschreiten. Zudem sollten die Symptome von Woche zu Woche differenziert betrachtet werden. Werden diese Punkte beachtet, steht einer Reduzierung der Beschwerden nichts mehr im Weg.

Wie verhält sich Training mit leichten Schmerzen bei Arthrose?

Nutzten Therapeuten während der Physiotherapie eine Schmerzskala zur Feststellung und Dokumentation, so können hier ebenfalls bessere Ergebnisse erzielt werden. Zu dieser Erkenntnis kamen 2016 Skandal et al., als sie 10.000 Patienten mit Arthrose in Dänemark untersuchten. Zu Beginn der Studie stiegen die Beschwerden um durchschnittlich 10%. Nach 6 Wochen und 2x/Woche Training konnten die Beschwerden jedoch um ca. 25% reduziert werden.

Noch gravierendere Erkenntnisse zeigten sich bei der Untersuchung von Patienten mit Kniearthrose, die für einen Gelenkersatz in Frage kamen. 75% dieser Probanden entschieden sich gegen eine Operation, nachdem sie ein 12-wöchiges Trainingsprogramm absolvierten. Diese Verbesserungen resultieren wahrscheinlich aus einer erhöhten Muskelkraft und damit einer verringerten Belastung der Gelenke.

Halten wir fest:

  • Training mit leichten Schmerzen während der Reha-Phase führt zu schnelleren Erfolgen.
  • Schmerzskalen ermöglichen es dem Therapeuten und Patienten, die Erfolge messbar zu machen.
  • Die Symptome sollten von Woche zu Woche abnehmen.
  • Leichte Schmerzen während und nach dem Training sind ok.
  • Sollten Schmerzen 2-3 Tage nach dem Training bzw. zunehmend sein, muss das Training überdacht werden.

Literatur: